12
Apr
2008

Das Gedenken umfunktionieren

Dutschkes FahrradEigentlich wollte ich zum Kudamm fahren, ein Foto machen - an der Stelle, wo Rudi Dutschke vom Fahrrad heruntergeschossen wurde - und mich dann wortreich darüber beklagen, dass die Stadt nur Leerstellen hinterlässt und Erinnerungen unwiderbringlich verlorengehen. Dann wollte ich Walter Benjamins Engel der Geschichte zitieren und die Rebellen von damals ermahnen, dass sie ihre eigene Geschichte vor dem Zugriff der Gegenwart schützen müssen. Nach den jüngsten Versuchen, das ganze Jahr 68 und bestimmte Ereignisse aus der Zeit neu zu deuten, schien mir das durchaus angebracht.

Fahrradniederlegung am KudammNun das! Nicht nur Dutsckes Fahrrad war an dem Ort zu sehen, sogar eine Fahrradniederlegung als Erinnerungsaktion, eine Idee des Dokumentarfilmers Gerd Conradt.
Etwa 200 Fahrräder liegen auf der Fahrbahn, als die Polizei verlangt, dass die eine Fahrspur wieder frei gemacht werden muss. Die armen Radbesitzer müssen also ihre Vehikel aus dem Rad - Gewölle wieder rausklauben und auf die schmalere Radspur legen.Fahrradniederlegung - einspurig Die grüne Demo-Leitung achtet darauf, dass der Anordnung der Polizei auch brav Folge geleistet wird. Also, geht's noch? Das hätte es "68" nicht gegeben!
Der Marsch durch die Institutionen hat größte irreparable Schäden bei den Grünen verursacht! Generell stößt die Organisationshoheit der Grünen bei dieser Aktion nicht auf die ungeteilte Zustimmung der älteren Herrschaften: "Die Grünen, diese Verräter, die stellen sich jetzt hin und tun so, als seien sie Alleinerben von 68!"
Die Süddeutsche Zeitung findet diese Gedenk-Kunstaktion peinlich.
Nun ja. Seh' ich anders. Muss man denn unbedingt bei einer Gedenkstunde mit betretenem Gesicht in der Gegend rumstehen und versuchen, nicht zu heulen? Vormoderne Racheschwüre gegen Springerpresse, Polizei und andere Vertreter des "Systems" aussenden? Die Alt-68er, diese unwürdigen Greise, machen sich jetzt daran, auch noch das Gedenken umzufunktionieren!

taz-TitelDas Wort "umfunktionieren" habe ich mir am Sonntag aus einer Sendung über Rudi Dutschke in 3sat notiert: "Man muss Westberlin umfunktionieren zu einer internationalen subversiven Stadt des Widerstands gegen Stalinismus und Faschismus." Hat fast geklappt. Immerhin...

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