16
Feb
2005

Geboren am Klausenerplatz



Ich bin eingeladen zu einem Info-Abend. Die Nr. 19 ist eines der schönsten Häuser am Klausenerplatz - ein geräumiges früheres Offiziershaus mit "Berliner" Wohnungen. Im Haus logiert Deutschlands allererstes Geburtshaus, von einem Team freiberuflicher Hebammen im Jahr 1987 gegründet. Jede Frau, die professionelle Hilfe bei einer selbstbestimmten Geburt in Anspruch nehmen möchte, ist hier an der richtigen Adresse.

Wir treffen uns mit einer Gruppe von 13 Frauen und Männern und lassen erst einmal die Atmosphäre der Räume auf uns einwirken. Alles ist hier groß und lässig, Wellness und Entspannung ist der erste Eindruck, medizinisches Equipment sieht man nicht auf den ersten Blick. Hebammengeburt hat in Deutschland eine lange Tradition, die Kosten werden daher für Frauen von den staatlichen und privaten Krankenkassen übernommen, ein kleiner Anteil an den Betriebskosten wird pauschal für die gesamte Betreuungszeit einmal fällig. Mit diesem Finanzierungsmodell hat es das Geburtshaus geschafft, ohne weitere staatliche Subvention von einem vielversprechenden "Alternativprojekt" zur anerkannten Institution der ambulanten Geburtshilfe zu bringen: Geburtshäuser gibt es mittlerweile in vielen europäischen Städten.

Unsere Referentin Marion Rößner gibt das Motto des Abends vor: Bloß kein Stress! Du wendest dich an eine bestimmte Hebamme als Bezugsperson, die dich die ganze Zeit über hauptsächlich betreut. Du bestimmst den Zeitpunkt, wann du dich auf die Geburt vorbereitest, du entscheidest, wie oft du kommen willst, du machst die Kurse, die dir gefallen. Muss man Atemkurse machen? Nein. Aber wer möchte, kann. Klappt die Geburt dann trotzdem? Ja. Frauen tun meistens von allein das Richtige, wenn nicht, helfen die Hebammen. In den Geburtsräumen können die Schwangeren sich bewegen, sich ausruhen, in die Wanne gehen, viel trinken, essen, was immer sie tun möchten. Vor allem haben sie so viel Zeit wie sie brauchen. Im Liegen kommen hier nur die wenigsten Kinder zur Welt. Begleitpersonen können mitkommen, müssen aber nicht. Auch Männer sollen selbst bestimmen, ob sie bei der Geburt dabei sein möchten.

Wir stehen in dem Raum mit der Geburtswanne: hier kommen ungefähr die Hälfte der betreuten Kinder zur Welt. Pro Monat werden am Klausenerplatz durchschnittlich 27 Babies geboren. Die Männer fragen, ob zur Geburt ein Arzt kommt. Die Antwort ist: Nein. In Deutschland gibt es ein Gesetz, nach dem bei einer Geburt eine Hebamme anwesend sein muss, und ein Arzt anwesend sein kann. Für den Fall, dass eine Geburt ungünstig verläuft, kann eine Frau von hier aus mit dem Rettungswagen in 10 Minuten in die nahegelegene Schlosspark Klinik, in die Westend-Kliniken oder - wenn genug Zeit ist - in die anthroposophische Klinik Havelhöhe gefahren werden. In etwa 15% der betreuten Fälle trifft man diese Entscheidung. Risikoschwangerschaften dürfen vom Geburtshaus ohnehin nicht betreut werden.

Bisher dürfen im Geburtshaus am Klausenerplatz nur ambulante Geburten stattfinden. Das ist bedauerlich, dem Wellness-Gedanken des Hauses entspricht das nicht so ganz. Das Hebammen Team arbeitet gerade an einem Konzept zur Betreuung nach der Geburt. Das ist in Deutschland mit hohen Auflagen verbunden. Zur Zeit werden zur Wochenbettbetreuung Hausbesuche gemacht.

Marion Rößner macht trotzdem Mut: Nach der Geburt kannst du erst einmal locker nach Hause fahren. Das schaffst du! 3-5 Stunden nach der Geburt hast du ein Hochgefühl, du hast gerade etwas Großes geleistet! Danach klatschst du zusammen. Lass es zu! Dann musst du ins Bett gehen, lass dich verwöhnen und steh erst wieder auf, wenn du dich stark genug fühlst. Deine Hebamme kannst du "anpiepen".
Die Frauen nicken ein wenig zufriedener als die Männer. Jetzt können sie langsam den Entschluss reifen lassen. Meine Sitznachbarin fragt mich, ob ich mich schon entschieden habe, oder ob ich noch Zeit habe, man sieht bei mir noch nichts. Nein, wo nichts ist, kann man auch nichts sehen. Ich bin hier, um eine Kiezreportage fürs Internet zu schreiben. Das ist aber nett, sagt sie, kann man den Link bekommen? Klar. Wir tauschen E-Mail Adressen. Und? Hat sie sich schon entschieden? Klar. Wir lachen. Kann es sein, dass ich jetzt doch etwas neidisch bin?

Geburtshaus am Klausenerplatz
Klausenerplatz 19
14059 Berlin
Tel: 030- 325 68 09

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